Die Akademie im
        Kleinen und Ultimaten
      
      
      von Johannes Stahl
      Ob es eine „Ultimate", also
        letzthin gültige, Akademie gibt? Oder ob „ultimate" gerade
        nur den letzten Stand bezeichnet, so wie das „Ultimate Fake Book"
        für Jazzinterpreten eine Melodiensammlung neuester Aktualität
        meint?
      
      Schwer zu
        beantworten, und um so schwerer, je mehr ein Modell in die Jahre
        kommt, sich einerseits zu bewähren beginnt und andererseits auch
        Schwächen offenbart, kurz: gerade nicht mehr das neueste
        Nonplusultra im Bereich akademischer Gründungen sein kann.
       Small
        politics
      
      Mitte der achtziger
        Jahre jedenfalls markierte Al Hansens und Lisa Ciesliks gemeinsame
        Neugründung ein kulturpolitisches Novum in der Geschichte der an
        Entwicklungen nicht gerade armen Stadt Köln. Auch wenn es schon
        zahlreiche aus privater Initiative getragene Einrichtungen gab und
        auch letztlich das berühmte Wallraf-Richartz-Ludwig-Museum der
        Stadt aus ebensolchen Impulsen durch Sammler stammt, daß Künstler
        Geld für die Miete eines Raums zusammenbringen und so einen
        eigenen Kunstort mit offiziellem Anspruch öffnen und über Jahre
        hin bespielen, bleibt die Ausnahme. Im überschaubaren Umfang, den
        ein solches Unternehmen hat, sind nach einiger Zeit sogar ein paar
        öffentliche Mittel geflossen, sei es für eine ABM oder sei es
        durch die Unterstützung beim Postversand. Letztlich ist die
        Ultimate aber in der Optik städtischer Kultur ein Randbezirk
        geblieben, eine Oase alternativen Kunstwollens, die nicht zuletzt
        dazu beiträgt, das Prestige des hohen Hauses der Stadt noch ein
        wenig weiter zu erhöhen. Dauergäste der Veranstaltungen sind städtische
        Kulturbeauftragte nicht geworden. Als Maßnahme jedoch hat die
        Akademie der Stadt genützt. Der unkomplizierte und offene Zugang
        für Künstler von überall her hat weitreichende und von Personen
        (und eben nicht Institutionen) geprägte Kontakte an Orte oder zu
        Zeiten entstehen lassen, der für die offiziellen Verbindungen
        nicht machbar waren: sehr früh schon ins Baltikum, nach
        Blaubeuren-Asch, nach Afrika, Leipzig und anderswohin. Wenn es in
        der achtziger Jahren und frühen Neunzigern eine Sogwirkung der
        Kunststadt Köln überhaupt gab, dann war die Ultimate eine der
        entscheidenden ersten Adressen.
      Small strategics
      Vieles von dem, was
        die Ultimate an Aktivitäten gesehen hat, hängt mit dem Ruf der
        Kunststadt Köln zusammen: der beheimatete Kunstmarkt prägt
        deutlich (anders als in Düsseldorf) die Aktualität, die öffentliche
        Wahrnehmungsmöglichkeit und die damit Hand in Hand gehenden
        Durchsetzungsstrategien. Ob sich eine Documenta Banana oder
        Documenta Erotica formiert, ob Aussstellungsmöglichkeiten verlost
        werden oder Massenperformances organisiert; die Notwendigkeit, als
        KünstlerIn wahrgenommen zu werden, ist nicht nur durchgängiges
        Thema, sondern auch in eine überzeugende und komplexe Form
        gebracht - und durchaus oft nicht ohne Selbstironie. Dabei gehen
        die Maßnahmen weit über Selbsthilfe hinaus: man formuliert einen
        fast altertümlich humanistischen Anspruch: den vom
        selbstbestimmten Künstler, der sein eigener Auftraggeber,
        Vermittler und Vermarkter ist und nebenbei das aktuelle kulturelle
        Geschehen reflektiert, mit Kollegen und Publikum diskutiert und
        dieses Geschehen gleichzeitig selbst voranbringt.
       Small
        academics
      Jeder Mensch nicht
        nur ein Künstler, sondern auch ein Kunstvermittler,
        Kunstorganisator, Kunstverkäufer und ein Kunstdozent oder gar
        -professor: ein weites Feld an Entwicklungsmöglichkeiten lag
        offen (und im Grunde liegt es das immer noch). Die
        gesellschaftlichen Palastrevolten der sechziger Jahre hatten die
        Staatlichen Kunstakademien im Grunde nur gestreift. Joseph Beuys,
        der zuviel Erfolg mit zuviel Studierenden hatte, war entlassen
        worden und - systemstabilisierend - als Ausnahmeerscheinung wieder
        ins Düsseldorfer Hohe Haus eingelassen worden. Jörg Immendorf,
        dessen LIDL-Akademie an der gleichen Institution andocken wollte,
        braucht länger, um letztlich auch als staatlicher Professor zu
        Ehren zu kommen. Al Hansens Kollegen aus dem Fluxus-Umfeld waren
        mißtrauisch genug, um jedwedem Akademismus zu mißtrauen. Selbst
        daß Hansen einmal malen gelernt hatte, war manchem schon zu
        systemkonform. Damals. Heute ist es doch bemerkenswert, auf
        welchen Lehrstühlen die ehemaligen Rebellen sitzen - oder eben
        nicht sitzen.
      Nun ist jede
        Akademie weit mehr als eine Kunstschule. Im günstigen Fall Forum
        für intellektuelle Auseinandersetzungen, Ort auch für technische
        Innovation - sofern sie nicht so aufwendig ist, daß sie nur in
        kommerziell verwertbaren Bereichen vorfinanziert wird (Seitenblick
        auf die Video-, heute eher Computerkunst) - : hier kann im kleinen
        Bereich reifen, was später einer gesamten Gesellschaft als Signal
        oder gar Identifikationsbereich dient (irritierter Seitenblick auf
        Konzeptkunst, ängstlicher Blick auf chinesische Malakademien).
      Alles von diesen
        eben allgemein geschilderten Definitionselementen gilt auch für
        die Ultimate. Ihre Besonderheiten, neben den oben geschilderten
        Umständen: sie war kleiner und deutlich überschaubarer und vom
        funktionalen Apparat daher vielleicht menschlicher (inklusive
        einiger spezifisch kölnischer Eigenheiten). Auch wenn ein solcher
        enger Raum für individuelle Zielsetzungen vieler nicht
        reibungslos funktionieren kann: eine großtechnische Produktion
        von individuellen Neurosen unterblieb.
      Eine zweite
        Besonderheit war gewiß besonderer Zug der Ultimate Akademie: die
        inflationäre Vergabe von Professorentiteln machte aus jedem
        Mitstreiter jenen hierarchisch herausgehobenen Lehrer, der an
        klassischen Akademien schlußendlich doch das Recht der Bewertung
        behält. Dieses Herrschaftgefüge war so nicht nur entwertet,
        sondern auch der Einzelne mit genau dieser Verantwortung auch
        belastet. Bei allem spielerischen und möglicherweise auch vergänglichen
        Charakter, den die überbordenden Aktivitäten der Akademie
        aufweisen: der in je gemeinsamen Projekten eingebettete Wille und
        relevante Weg zur künstlerischen Selbstverwirklichung, das Bilden
        von- und miteinander war ein Stück gelebte Utopie. Die pädagogischen
        Feinheiten dieses kollektiven Autoritätsmodells sind heute noch -
        und vielleicht mehr denn je - eine sehr ernstzunehmende
        Zukunftmusik.